Es ist schon rätselhaft. Forschung und Erfahrung zeigen: Wertschätzung gehört zu dem, was uns am meisten motiviert. Und sie kostet in der Regel wenig. Dennoch zählt sie zu den Dingen, die uns am stärksten fehlen, nicht zuletzt am Arbeitplatz. Wie kann das sein?
Die Gründe für diesen Widerspruch werden klarer, wenn man sich anschaut, was wir unter Wertschätzung verstehen. Wertschätzung ist aufmerksames Wohlwollen. Das heißt, sie hat zwei Aspekte: Aufmerksamkeit für das Verhalten und die Bedürfnisse anderer sowie die Bereitschaft, ihnen Gutes zu tun. Diese Aspekte können sich auf unterschiedliche Weise zeigen, zum Beispiel, indem wir anderen danken, sie unterstützen, grüßen, loben, ihnen zuhören, Geschenke machen oder Zeit mit ihnen verbringen.
Eine erste Schwierigkeit, Wertschätzung auszudrücken, rührt daher, dass wir nicht sehen, auf Welche Weise sie unseren Selbstwert erhält. Dieser besteht in dem Bewusstsein, dass unser Tun und unsere Fähigkeiten von anderen geschätzt werden. Er trägt zu einem stabilen Selbstbild bei. Das Fundament unseres Selbstwerts entsteht zwar in der Kindheit, doch dieses Fundament muss in der Folge immer wieder erneuert werden. Und genau darauf kommt es an: Wertschätzung ist ein fortlaufendes Bedürfnis. So wenig der Präsentkorb, den wir zum Jubiläum erhalten, uns jahrelang ernährt, so wenig reicht er zum Erhalt unseres Selbstwerts aus. Wie Nahrung brauchen wir Wertschätzung auf beständige Weise.
Zur Unterschätzung, wie sehr das Bedürfnis nach Anerkennung ein fortlaufendes ist, treten gesellschaftliche Gründe, die uns Wertschätzung auch am Arbeitsplatz erschweren. So hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten einen großen Empathieverlust quer durch die Gesellschaft verzeichnet. Unsere Fähigkeit, die Perspektive anderer einzunehmen und resonant mit ihren Gefühle zu sein, ist seit den 80er Jahren stark gesunken. [1] Dadurch hat auch jene Aufmerksamkeit abgenommen, die ein Bestandteil von Wertschätzung ist. Im gleichen Zeitraum ist narzisstisches Verhalten gestiegen und dies in einem Ausmaß, dass man sogar von einer Epidemie gesprochen hat [2]. Dieser Anstieg dürfte gegenwärtig auch den zweiten Aspekt von Wertschätzung beeinträchtigen, unser Wohlwollen anderen gegenüber. [3]
Warum nicht. | Foto: Stephan Pfob
Ein weiterer Grund liegt in der sogenannten Feedback-Lücke. Sie stellt den Abstand dar zwischen unserem Eindruck als Feedback Gebende (Führungskraft: „Ich gebe doch genug Wertschätzung“) und unserer Wahrnehmung als Feedback Empfangende (Mitarbeiter*in: „Ich brauche mehr Wertschätzung“). Diese Lücke ist bei Feedback im Allgemeinen und im Besonderen etwa bei Dankbarkeit gut untersucht. [4]
Die nächste Ursache dürfte manche überraschen: Führungskräfte haben im Schnitt weniger Empathie. Dies liegt natürlich nicht daran, dass Führungkräfte die schlechteren Menschen wären. Vielmehr verlieren Menschen, die die Karriereleiter erklimmen, durch die andere Natur der Herausforderungen leicht das Verständnis für die Schwierigkeiten, mit denen sie früher einmal zu kämpfen hatten. Zum anderen bleiben durch die im Mittel höhere Arbeitslast auch weniger Möglichkeiten, sich mit den Bedürfnissen der Mitarbeitenden zu befassen, während gleichzeitig das Stresslevel steigt. Zeitnot beeinträchtig unsere Aufmerksamkeit, Stress verringert Empathie. Beides beeinträchtigt unsere Wertschätzungsfähigkeit. [5]
Viele Hürden für eine starke, motivierende Wertschätzungskultur liegen bei uns als Einzelnen. Zwei Dinge treten hier besonders hervor. Zum einen wissen wir oft nicht, wie wir uns ausdrücken sollen. Uns fehlen die richtigen Worte. Nicht selten behaupten wir dann, uns läge es halt nicht zu loben, wir würden es aber meinen und das sei es schließlich, was zähle. Die Arbeitsatmosphäre, die sich dadurch bildet, untersteht dann gewöhnlich dem Motto „Nicht geschimpft ist halb gelobt.“ Doch dieses Motto ist schief. Stilles Meinen motiviert uns nicht. Menschen brauchen klare Worte, auch bei der Wertschätzung. Dabei ähnelt diese Klarheit, anders als man vielleicht denkt, der Art, konstruktiv zu kritisieren. Man kann beides zusammen lernen.
Die zweite individuelle Hürde liegt darin, Wertschätzung vor allem als Lob und Lob wiederum als Beurteilung zu verstehen. Aber weder muss Lob eine Beurteilung sein (es lohnt sich, darunter eher den Ausdruck eines Gefühls zu verstehen), noch ist jede Wertschätzung ein Lob. Tatsächlich ist sie in der Regel etwas anderes. Hier brauchen nur an die Beispiele vom Anfang zu denken: Danken, Zuhören, Einbeziehen usw.
Für einen Mangel an Wertschätzung gibt es also viele Gründe. Die meisten lassen sich beheben, sowohl auf struktureller als auch auf persönlicher Ebene. Wie man dies am Arbeitsplatz erreicht, welche Praxis und welche Haltung besonders helfen, wären Fragen für ein anderes Format. Zum Abschluss wollen wir schon einen Hinweis geben, der ein besonders guter Ausgangspunkt für das weiteren Vorgehen ist: Lasst uns Wertschätzung nicht als Belohnung für gute Arbeit betrachten, sondern als eine Bedingung dafür.
[1] Zur Abnahme von Empathie um 40% von den 90ern bis 2009 siehe die Metastudie: Konrath, Sara H. u. a.: „Changes in Dispositional Empathy in American College Students Over Time: A Meta-Analysis“, in: Personality and Social Psychology Review 15 (2011), S. 180–198. // Hier im Netz zu finden.
[2] Hier zum Beispiel. – Die Rede von einer Epidemie dürfte über sachliche Gründe hinaus auch publizistisch motiviert sein.
[3] Es ist natürlich interessant, über die Ursachen dieser Entwicklungen nachzudenken. Dazu zählen dürften sicherlich der Einfluss neuer und insbesondere sozialer Medien, gestiegener Geltungskonsum und gleichzeitige Bindungsverluste in Familien und anderen, traditionell stabileren Gemeinschaften.
[4] Zur Studie über Dankbarkeit siehe hier.
[5] Weitere Gründe und eine ausführliche Darstellung dieses Zusammenhangs kann man hier nachlesen.
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